1959 - Als es im Mai D-Mark regnete

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© Presse actuelle | Landesarchiv des Saarlandes

Unter dem Namen „Tag X“ ging der 6. Juli des Jahres 1959 in die deutsche Geschichte ein. Dahinter verbirgt sich der wirtschaftliche Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik – und damit der letzte Akt der Wiedereingliederung. Doch welche Folgen hatte diese Umstellung?

By Zeitzeug:innen

„Hallo Saarbrücken, hallo Saarbrücken! Wir rufen aus Eichelscheid, der kleinen Grenzstation an der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Tausende und abertausende von Menschen sind von diesseits und jenseits der Grenze gekommen, um diesen Abend hier mitzuerleben.“ Diese Nachricht erreichte die Bevölkerung am späten Sonntagabend über den Rundfunk, wo der damalige SR-Hörfunkchef Wilhelm Diederich live vor Ort berichtete. An den deutsch-saarländischen Übergangsstellen feierten zahlreiche Menschen das Ende der Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich, die mit Beginn des 6. Juli rechtskräftig werden sollte. Unter ihnen auch Ministerpräsident Dr. Franz-Josef Röder, der die Zollschranke in Homburg-Eichelscheid um Mitternacht höchstpersönlich bestieg und eine kurze Ansprache hielt.

Einen Tag zuvor, am Morgen des 4. Juli, hatte er – gemeinsam mit den Regierungen in Bonn und Paris – den Zeitplan für die Währungsumstellung im Saarland bekanntgegeben. Um Spekulationsgeschäfte zu verhindern war dieser Termin bis zuletzt geheim gehalten worden. Nun aber sollten zum 6. Juli jegliche Zollgrenzen zwischen dem Saarland und der Bundesrepublik fallen.

SR.de: "Tag X" - die D-Mark kam ins Saarland

In den frühen Morgenstunden des Sonntags brachten schließlich vom Bundesgrenzschutz begleitete Geldtransporter unter dem Decknamen „Mairegen“ 580 Millionen DM ins Saarland. Um die Währungsumstellung möglichst reibungslos durchzuführen, waren zuvor 500 Schalter eingerichtet worden, teils sehr provisorisch in Gaststätten, an denen die Bevölkerung ab Montag unter einem Kurs von 100 Franken zu 0,8507 DM ihr Geld umtauschen konnte. Neben den Banken, die für die Kontenumstellungen und Geldwechsel zuständig waren, legten auch alle anderen saarländischen Geschäftsleute an diesem Sonntag eine zusätzliche Schicht ein, um ihre Schaufenster und Geschäftsräume dem Anlass entsprechend zu gestalten – und nicht zuletzt auch um ihre Produkte neu auszuzeichnen. Mit der Währungsumstellung versprachen sich viele deutsche Firmen ein neues Absatzgebiet. So warteten kurz vor dem „Tag X“ zahlreiche LKW an der Landesgrenze, um ihre Ware „Made in Germany“ abzuladen.

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Einkaufen nach der Währungsumstellung
 

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Schaufenster nach der Währungsumstellung

Die anfängliche Euphorie über den vollständigen Anschluss verflog allerdings rasch. Die Bevölkerung musste feststellen, dass die Preise der deutschen Produkte sehr hoch waren und sie sich diese nicht leisten konnten. Das lag in großen Teilen daran, dass viele Geschäfte die Preise nicht zum offiziellen, sondern zum Kurs 100 zu 1 umrechneten (woraus sich eine versteckte Preiserhöhung von ca. 18 % ergab). Ebenfalls als nachteilig für die Bevölkerung stellte sich der Umstieg auf das deutsche Sozialsystem heraus. So fiel mit dem „Tag X“ beispielsweise das bisherige System der Familienzulage weg, bei dem verheirateten Arbeitnehmern u. a. Kindergeld in Höhe von 2300 FRF für das erste und 3700 FRF für das zweite Kind zustanden. Die Versicherungsbeiträge erhöhten sich ebenfalls, sodass die Anpassung der Zulagen und Abzüge eine deutliche wirtschaftliche Verschlechterung für die Saarländer:innen zur Folge hatte. Auch für viele ansässige kleine und mittelständische Firmen war die Umstellung ein Problem: durch die plötzliche große Konkurrenz hatten sie hohe Umsatzverluste und konnten sich teilweise nicht mehr am Markt halten.

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Einkaufen nach der Währungsumstellung

Aus diesen Entwicklungen resultierten deshalb schnell Proteste und Demonstrationen. So gab es bereits am 9. Juli einen landesweiten einstündigen Proteststreik, bei dem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) den Ablauf der Währungsumstellung stark kritisierte. Auch die saarländischen Studierenden hatten mit den Folgen des „Tag X“ zu kämpfen: der Preis für die Straßenbahn war nun so hoch, dass er das Budget vieler überstieg. Auch sie versammelten sich daher zu Protesten.

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Zur Beruhigung der Gemüter sollte schließlich ein Besuch des Wirtschaftsministers Ludwig Erhard dienen. Er traf am 13. Juli in Saarbrücken ein, um sich direkt vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Sein Fazit: die Preise seien normal – keine verwunderliche Antwort, waren sie doch nun, nach dem Anschluss, auf einem ähnlichen Niveau wie in der übrigen Bundesrepublik. Insgesamt stellte der „Tag X“ damit einen großen Einschnitt in den saarländischen Alltag dar, sowohl für die Wirtschaft als auch für die Bevölkerung.

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Ludwig Erhard bei seinem Besuch am 13. Juli 1959 in Saarbrücken

 

SR-Mediathek: Fünf Jahre nach dem "Tag X"

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