1955 - Saarabstimmung

Ein europäisiertes Saarland als Vorreiter eines vereinigten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg? Darüber sollte 1955 das Saarstatut entscheiden und damit ausschlaggebend für das Schicksal des jüngsten Bundeslandes sein.

By Zeitzeug:innen

Erste Schritte zur europäischen Zusammenarbeit

Mai 1949: Vier Jahre nach Ende des Krieges war man sich sicher, dass eine solche Katastrophe nicht noch einmal passieren durfte und dies nur durch ein vereinigtes Europa und zusammenarbeitende Regierungen erreicht werden konnte. Am 5. Mai 1949 wurde hierzu der Grundstein gelegt, als in London zehn Länder – Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Großbritannien – zusammentrafen, um die Satzung des Europarates zu unterzeichnen. Ein weiterer wichtiger Schritt war schließlich die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS; auch Montanunion genannt) am 18. April 1951, die durch den französischen Außenminister Robert Schuman angestoßen worden war. Zu den Unterzeichnern dieses Paktes gehörte zwar die Bundesrepublik, aber nicht das Saarland.

Die Saarfrage

Das Saarland befand sich 1951 in einer schwierigen Lage. Immer noch unter alliierter Verwaltung, hatten sich im Land verschiedene Parteilager gebildet, die unterschiedliche Einstellungen über den Anschluss an die Bundesrepublik hatten und dementsprechend oft aneinandergerieten. Die Saarfrage wurde zu einem Dauerproblem, nicht zuletzt auch für die Bundesregierung. Im Laufe der Zeit erarbeitete sie zwar mehrere Pläne zu einer Europäisierung des Landes, die sich aber alle nicht durchsetzen konnten. Endgültig zu Scheitern drohte die neue Zusammenarbeit der europäischen Länder im Rahmen der Verhandlungen zur Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) und zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Allen Beteiligten wurde nun klar, dass die Saarfrage geklärt werden musste, bevor weitere große Entscheidungen getroffen werden konnten.

 

Parteienlandschaft im Saarland der 1950er Jahre (Auswahl der wichtigsten)

Christliche Volkspartei des Saarlandes (CVP)

Gründung: 1945/1946

Zulassung: 1946

Ausrichtung: christdemokratisch

Saarstatut: Ja

Personen: Johannes Hoffmann

CDU Saar

Gründung: 1952

Zulassung: 1955

Ausrichtung: christdemokratisch

Saarstatut: Nein

Personen: Hubert Ney

Demokratische Partei Saar (DPS)

Gründung: 1946

Zulassung: 1946/1955 (nach 1951 erlassenem Verbot)

Ausrichtung: zunächst liberal, nach 1950 nationalliberal/nationalkonservativ

Saarstatut: Nein

Personen: Heinrich Schneider

Deutsche Sozialdemokratische Partei (DSP)

Gründung: 1952

Zulassung: 1955

Ausrichtung: sozialdemokratisch

Saarstatut: Nein

Personen: Kurt Conrad

Sozialdemokratische Partei des Saarlandes (SPS)

Gründung: 1945/1946

Zulassung: 1946

Ausrichtung: sozialdemokratisch

Saarstatut: Ja

Personen: Richard Kirn

Kommunistische Partei Saar (KPS)

Gründung: 1945

Zulassung: 1946

Ausrichtung: kommunistisch

Saarstatut: Nein

Personen: Fritz Nikolay, Fritz Bäsel

In Hinblick auf die Landtagswahlen am 30. November war das Jahr 1952 geprägt von politischen Unruhen. Ministerpräsident Johannes Hoffmann gab bekannt, dass die prodeutschen Parteien DPS, CDU Saar und DSP nur zur Wahl zugelassen werden, wenn sie die geltende Verfassung vollumfänglich anerkennen und zudem einer Europäisierung des Saarlandes zustimmen. Diese Parteien forderten daraufhin ihre Wähler zur Abgabe eines „weißen“ Stimmzettels auf, um ihren Unmut über die Situation auszudrücken. Ungefähr ein Viertel aller Wahlberechtigten folgte diesem Appell; dennoch fiel das Ergebnis der Wahlen erneut zugunsten Hoffmanns und seiner CVP aus und sie erlangte die absolute Mehrheit. Die folgende Koalition mit der SPS brach allerdings 1954 auseinander, sodass es – ohne Neuwahlen – zum vierten Kabinett Hoffmann kam.

Ein weiterer Meilenstein in der Neuformung Europas nach dem Krieg stellte die Neun-Mächte-Konferenz dar, welche vom 28. September bis zum 3. Oktober 1954 in London stattfand. Es wurde gefordert, die Besetzung der Bundesrepublik nun auch offiziell zu beenden und damit ihre Souveränität vollständig wiederherzustellen. Allerdings wurde auch festgehalten, dass dieses Abkommen erst durchgeführt werden könne, wenn die Saarfrage geklärt ist. Beschlossen wurden diese Forderungen mit Unterzeichnung der Pariser Verträge am 23. Oktober 1954, welche am 5. Mai 1955 in Kraft treten sollten. In Bezug auf das Saarland wurde bestimmt, dass dieses unter Beibehaltung der Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich europäisiert werden soll. Bevor das Saarstatut in Kraft treten konnte, musste aber die saarländische Bevölkerung darüber abstimmen. Der Termin für dieses Referendum wurde auf den 23. Oktober 1955 festgelegt.

Das Referendum

Im Rahmen des Referendums wurden schließlich zehn Parteien zum Abstimmungswahlkampf zugelassen. Befürworter des Statuts waren neben der Regierungspartei CVS und der ihr nahestehenden SPS die FDP, die UAPS, die CSU Saar und die Arbeiter- und Bauernpartei sowie die europäischen Organisationen EU, NEI und die Europa-Bewegung des Saarlandes. Gegen das Statut sprachen sich die drei Heimatbundparteien CDU Saar, DSP und die DPS sowie die KP und die DDU aus.

Die „heiße Phase“ vor dem Referendum begann mit dem 23. Juli. An diesem Tag trat das Gesetz in Kraft, welches am 8. Juli gebilligt worden war und die Durchführung der Abstimmung bestimmte. Nun erzürnte sich ein regelrechter Abstimmungskampf zwischen den beiden Lagern – den Ja-Sagern und den Nein-Sagern –, die jegliche Mittel nutzten, um die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Es gab im Zuge des Wahlkampfes eigens eingerichtete Plakatwände; nur dort durfte plakatiert werden. Die Anordnung der Plakate sowie die den Parteien zugewiesene Fläche war genau festgelegt. Neben Flugblättern und Plakaten gab es zahlreiche Kundgebungen und Wahlveranstaltungen, die selten friedlich verliefen. Besonders prägnant war dabei die Forderung nach der Absetzung des Ministerpräsidenten: „Der Dicke muss weg!“ war an jeder Straßenecke zu lesen. In den drei Monaten, die den Parteien bis zum Tag der Abstimmung blieben, lieferten sie sich einen unerbittlichen Kampf um die Wählerstimmen, der Zeitzeugen als regelrechte Schlammschlacht in Erinnerung geblieben sind. Der Streit um das Ja oder Nein zum Statut entzweite dabei nicht wenige Familien.

Mit dem 23. Oktober war schließlich der Tag der Abstimmung gekommen. Er verlief – im Gegensatz zu den Monaten zuvor – friedlich, vermutlich auch, weil die Grenzen am Tag zuvor geschlossen worden waren. Um 8 Uhr wurden die Wahllokale geöffnet und die Saarländer:innen hatten nun bis 18 Uhr die Möglichkeit, über ihre Zukunft zu entscheiden. Dabei wurde die Stimmabgabe in jedem der Lokale von mindestens einem neutralen Beobachter der Westeuropäischen Union (WEU) überwacht. 97,55 % aller Stimmberechtigten gaben ihre Stimme ab und sprachen sich mit 67,7 % deutlich gegen das Saarstatut aus. Konsequenzen folgten noch in derselben Nacht: Ministerpräsident Johannes Hoffmann und das gesamte Kabinett traten zurück.

Folgen des Statuts

Nach dem eindeutigen Ergebnis der Abstimmung beschloss der gesamte Landtag, sich mit Wirkung zum 17. Dezember 1955 aufzulösen und am folgenden Tag Neuwahlen durchzuführen. Als Übergangs-Ministerpräsident wurde der parteilose Heinrich Welsch bestimmt. Bei den Wahlen am 18. Dezember zählten die CDU mit 25,4 % und die DPS mit 24,2 % zu den stärksten Parteien, die restlichen Stimmen verteilten sich mit 21,8 % auf die CVP, mit 5,8 % auf die SPS und mit 14,3 % auf die SPD (ehemalige DSP). Infolge dieses Ergebnisses ergab sich eine Koalitionsregierung aus CDU, SPD und DPS (die sog. Heimatbundregierung); neuer Ministerpräsident wurde Dr. Hubert Ney (CDU).

Die finale Phase der Eingliederung in die Bundesrepublik wurde mit der Unterzeichnung des sog. Saarvertrags am 27. Oktober 1956 eingeleitet, welcher am 1. Januar 1957 in Kraft treten sollte.

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